Bildungs­gerechtigkeit:
Schlüssel zur Zukunft

LOGBUCH Fotoshooting Berufsbildende Schulen Sophie Scholl Bremerhaven

Dependance im Haus Anne Frank
05.06.2024, 09.00-13.00h

Weddewarden ist das nördliche Ende von Bremerhaven. Wenn man vor dem Anne Frank Haus aus dem Auto steigt, fühlt sich das auch ein bisschen wie das Ende der Welt an. Das verwinkelte, vorwiegend eingeschossige, terracottafarbene Schulgebäude aus den 70er Jahren ist umgeben von üppigem Grün und Bäumen; es fügt sich harmonisch in die ländliche Umgebung ein. Interessierten Schülerinnen und Schülern werden im Haus Anne Frank neben dem Unterricht zahlreiche Möglichkeiten geboten, um praktische Erfahrungen zu sammeln. Innerhalb des Haus Anne Frank finden sich hierzu u.a. Räume wie eine Lehrküche, ein Ruhe- und Fitnessraum, Werkräume, Gymnastikräume sowie ein kleines Therapiebad und eine Sporthalle. Diese Räumlichkeiten bieten ebenso wie das große Außengelände mit Sportplätzen Raum für praxisorientierte Handlungssituationen und inklusive Projekte.

In der Aula herrscht bereits fröhliches Treiben, mithilfe von Schülerinnen, Auszubildenden und Lehrkräften nimmt das provisorische Fotostudio langsam Form an. Aus den Werkstufenklassen sind heute Miriam und Yaren dabei, die auf das Projekt sehr gespannt sind. Die beiden gehören einer Werkstufenklasse an und sind beide 18 Jahre alt. Miriam wurde mit Trisomie 21 geboren; von allen hier wird sie Miri gerannt. Aufgrund der fehlenden Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten kann sie zumindest vor der Kamera zunächst nicht dabei sein. Darüber ist sie sehr traurig, allerdings trösten sie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sofort und die Lehrerin verspricht, nochmal zuhause anzurufen. Vorerst nimmt sie dankbar das Angebot an, hinter der Kamera zu assistieren, und beginnt sehr konzentriert mit ihrer Arbeit. Dank ihrer Teilnahme an der Foto-AG kann Miri schon ganz gut mit der Kamera umgehen und findet lobende Worte für Vanessa, unser erstes Fotomodell (s.o.). Nachdem Vanessas Fotos im Kasten sind, steht Yaren vor der Kamera. Vanessa hilft ihr vorher noch dabei, ihre Schleife im Haar zu richten.

Nach zwei Jahren Schulzeit „als Förderkind“, wie sie selbst sagt, steht Yaren jetzt kurz vor ihrem Schulabschluss. Obwohl sie sich darauf freut, weiß sie noch nicht genau, wie es danach weitergehen soll. Bald gehen zu müssen, macht Yaren auch traurig, denn die schönen Erinnerungen an die gute Gemeinschaft im Haus Anne Frank und die Freundschaften, die sie hier geschlossen hat, bedeuten ihr sehr viel. Yaren lobt das soziale Miteinander und die Gemeinschaft im Gegensatz zu ihrer alten Schule. Ihre jetzige Schule, die Sophie, liegt zwar mit der Dependance im Haus Anne Frank ein bisschen abgelegen, aber es werden hier viele Aktivitäten angeboten, wie z.B. schwimmen, Fitness und Kanufahren. Außerdem mag sie den vorhandenen Ruheraum, die Foto-AG und Reitunterricht. Wenn es ihr mal nicht gut geht, kann sie sich hinlegen und die Lehrkräfte lesen ihr dann sogar eine Geschichte vor. Nach einigen Praktika im Verkauf und im Kindergarten könnte sich Yaren vorstellen, später in einem dieser Bereiche zu arbeiten. Sie hat sichtlich viel Spaß dabei, fotografiert zu werden und versucht selbstbewusst in die Kamera zu schauen: „Ich habe mich fast berühmt gefühlt!” sagt sie am Ende des Termins.

Kurze Zeit später kommt Miri mit ihrer Lehrerin in die Aula und verkündet stolz, dass sie nun offiziell an der Fotoaktion teilnehmen darf. Die anderen freuen sich für sie. Beim Fotoshooting legt sie sich richtig ins Zeug: sie dreht sich viel hin und her, zeigt eine starke und selbstbewusste Pose nach der anderen. Alle sind begeistert, wie gut sie das kann, und sagen ihr das auch. Sie selbst spricht immer wieder über ihre Erfahrungen in der Schule. Dabei ist sie wiederholt sehr emotional berührt, wenn alte Erinnerungen aus der Schulzeit hochkommen. Sie fühlt sich am Haus Anne Frank sehr wohl und erzählt, wie viele gute Freunde sie hier gefunden hat. Diese Schule habe ihr Halt gegeben. Vorher wurde sie an anderen Schulen oft geärgert und fertig gemacht. Es nicht immer leicht für sie, trotzdem kommt Miri zu dem Ergebnis: „Ich finde diese Schule gerecht, da alle ihre Meinung sagen können und gleich behandelt werden“. Anschließend bei der Fotoauswahl wirkt Miri sehr überrascht, wie gut die Fotos aussehen.

Beim Abschied sagt Vanessa uns, dass sie während ihrer Ausbildung als Heilerziehungspflegerin an der Sophie so unterstützt wird, dass sie auch bei Konflikten immer einen doppelten Boden in der Schule spüre. Es gäbe wohl keine bessere Erfahrung, die man Jugendlichen und jungen Erwachsen als Basis mitgeben könnte für egal welchen der vielfältigen Wege, die sie im Anschluss an ihre Zeit im Haus Anne Frank einschlagen werden. Die Zuversicht, die diese Erkenntnis auslöst, trägt uns, wie wir auf dem Rückweg merken, von der nördlichen Peripherie des kleinsten Bundeslandes bis in sein Zentrum.

Miriam - BSS