Bildungs­gerechtigkeit:
Schlüssel zur Zukunft

Die 4 Thesen – und was die Schulen wirklich sagen 

Wie gelingt Bildungsgerechtigkeit – und was steht ihr im Weg? 

Zum Start der Studie stehen vier Thesen im Raum.
Sie sind eine Art Kompass, formuliert aus Erfahrungen, Erwartungen und ersten Eindrücken aus der Praxis. Doch wie sehen das die Schulen selbst? 

Die Analyse der zwölf Schulporträts liefert Antworten darauf: überraschende Bestätigungen, aber auch deutliche Korrekturen. So entsteht ein vielschichtiges Bild davon, was Bildungsgerechtigkeit in der Realität bedeutet – und wo das System noch nachjustieren muss. 

These 1: „Herausfordernde Lagen“ sind klar zu erkennen

Stimmt – aber nicht automatisch. 

Ja, Schulen in herausfordernder Lage gibt es. Und ja, sie leisten enorm viel. Aber: Ihre Herausforderungen sind nicht immer sofort sichtbar. Nicht jede dieser Schulen sieht auf den ersten Blick nach „Brennpunkt“ aus. Erst der Alltag zeigt, wie komplex die Lage ist – zum Beispiel, wenn viele Kinder ohne ausreichende Sprachkenntnisse oder ohne Strukturerfahrung eingeschult werden. 

Was Schulen brauchen
Eine realistische, feinfühlige Sicht auf ihre Situation – und ein System, das genauer hinschaut und nicht nach Äußerlichkeiten urteilt. 

These 2: Schulen wissen selbst am besten, was ihre Schüler:innen brauchen

Stimmt – und wird viel zu selten genutzt. 

Die befragten Schulen haben ein tiefes Verständnis dafür, welche Maßnahmen wirken – und wo Ressourcen versanden. Sie entwickeln kreative Lösungen, setzen auf Netzwerke, reagieren flexibel. Aber ihre Expertise wird kaum systematisch abgefragt, geschweige denn einbezogen. 

Was Schulen brauchen
Vertrauen. Und Strukturen, in denen ihre Erfahrung die Strategie mitbestimmt – etwa bei der Vergabe von Ressourcen oder der Entwicklung neuer Maßnahmen. 

These 3: Gute Schule braucht Haltung – aber auch Rahmenbedingungen

Stimmt genau. 

Viele Schulen zeigen: Haltung macht den Unterschied. Doch Haltung allein reicht nicht. Es braucht Personal, Zeit, Räume – und die Möglichkeit, eigene Ideen auch umzusetzen.  

Was Schulen brauchen
Verlässliche Strukturen, weniger Bürokratie – und mehr Gestaltungsspielräume, die mit Ressourcen hinterlegt sind. 

These 4: Bildungs­gerech­tigkeit ist eine gesamt­gesellschaft­liche Aufgabe

Stimmt – aber das System handelt noch nicht so. 

In den Interviews wird deutlich: Schulen können Bildungsgerechtigkeit nicht allein herstellen. Sie brauchen Partner im Stadtteil, Unterstützung durch Verwaltung und Politik – und ein Bewusstsein in der Gesellschaft, dass es alle betrifft. 

Was Schulen brauchen
Ein Netzwerk, das trägt. Kooperationen auf Augenhöhe. Und politische Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. 

Was nehmen wir mit?

Die vier Thesen haben sich bestätigt – aber auf neue Weise. 

Die vier Thesen haben sich auf neue Weise bestätigt – sie zeigen, dass Schulen in herausfordernder Lage viel leisten – und oft ganz genau wissen, was es braucht. 
Was fehlt, ist ein System, das diese Erfahrung strukturell nutzt. 

Das bedeutet: 

  • Zuhören statt übersteuern 

  • Stärken fördern statt Defizite verwalten 

  • Vertrauen schenken statt kontrollieren 

Wenn wir Bildungsgerechtigkeit ernst nehmen, müssen wir genau hier ansetzen. 

Konzept – Wie Schulen Bildungsgerechtigkeit leben 

Wie 12 beteiligten Schulen Bildungsgerechtigkeit ganz praktisch verstehen und umsetzen  

Jede Schule verfolgt dabei ihren eigenen Weg – angepasst an die Bedingungen vor Ort und die Bedürfnisse ihrer Schüler:innenschaft. Gemeinsam ist ihnen, dass sie verschiedene Ansätze von Bildungsgerechtigkeit miteinander verknüpfen. 

Drei zentrale Konzepte bilden den Rahmen: 

  • Verteilungsgerechtigkeit (V): faire Ressourcenverteilung und Zugang zu Bildung

  • Schwellengerechtigkeit (S): Abbau von Barrieren und Unterstützung beim Übergang

  • Anerkennungsgerechtigkeit (A): Wertschätzung von Vielfalt und individuellen Lebenslagen

Die Porträts heben besonders markante Beispiele und Strategien hervor. Sie machen sichtbar, wie Schulen diese Konzepte – oft in einem eigenen, kontextbezogenen Mix – leben und weiterentwickeln. 

Resonanz – wenn Bildung Begegnung braucht

Bildung braucht Beziehung – darin sind sich alle beteiligten Schulen einig. Ob in Gesprächen mit den Schulleitungen oder durch konkrete Maßnahmen im Schulalltag: Bildungsgerechtigkeit entsteht nur dort, wo Resonanz gelingt. Gemeint ist damit die Beziehung zwischen den Schüler:innen und der Schule – zu Menschen, zu Inhalten, zu Räumen. 

An vielen Schulen ist Resonanz dabei mehr als nur ein pädagogisches Ideal. Sie ist gelebte Praxis. In der Grundschule an der Humannstraße etwa beginnt Resonanz mit Vertrauen – durch gemeinsame Frühstückszeiten, Ganztagsangebote und die gezielte Einbindung der Familien. An der BSW begleiten Lehrer:innen ihre Schüler:innen über Jahre – als Lernbegleiter:innen, als Coaches. Und an der HHS gibt es die „Brückengruppe“ für Kinder, die gerade nicht im Regelunterricht mitlaufen können, aber dennoch dazugehören. 

Auch in Oberschulen wie der AES oder der NOL ist klar: Resonanz gelingt dort, wo Lehrkräfte dranbleiben – und wo Kinder und Jugendliche erleben, dass sie gesehen werden. An der OSE ist das Büro der Schulleiterin zum sichersten Ort der Schule geworden. An der Sophie wiederum führen persönliche Gespräche nach Kompetenztests zu individuellen Lernwegen – fernab starrer Bildungsbiografien. 

Spürbar wird: Resonanz ist eine Grundhaltung. Sie zeigt sich in der Art, wie Kinder angesprochen werden, wie Entscheidungen gemeinsam getroffen werden, wie Lernen als gemeinsamer Prozess verstanden wird. Besonders beeindruckend zeigt das die Sankt-Johannis-Schule, die ein gutes Miteinander ins Zentrum stellt – oder das Hermann-Böse-Gymnasium, das durch Vielfalt und zusätzliche Angebote auf der Stoffebene Resonanz stiftet. 

Doch auch hier wird eine Grenze sichtbar: Während Resonanz auf der Mikro-Ebene – im Klassenzimmer, im Lehrer:innenzimmer, im Schulflur – vielfach gelingt, fehlt sie auf der Systemebene. Viele Schulen wünschen sich mehr Austausch, mehr Gehör, mehr Rückenwind – kurz: Resonanz von außen. Damit Bildungsgerechtigkeit nicht nur eine Aufgabe der Einzelnen bleibt, sondern zur gemeinsamen Verantwortung wird. 

Empirie – wenn Daten zu Handlungsimpulsen werden

Bildungsgerechtigkeit braucht nicht nur Haltung, sondern auch Handlungsfähigkeit. Und dafür braucht es: gute Daten. Die Rückmeldungen aus den beteiligten Schulen zeigen klar – wer vor Ort Verantwortung übernimmt, wünscht sich verlässliche, langfristige Planbarkeit. Doch das geht nur, wenn die Systemebene mitzieht. 

Daten sind dabei kein Selbstzweck. Sie sollen Orientierung geben. Schulen brauchen Zahlen, die sichtbar machen, was gut funktioniert – und wo nachjustiert werden muss. Studienergebnisse dürfen nicht wie eine Ohrfeige wirken, sondern als Frühwarnsystem begriffen werden: Wo hakt es? Was brauchen unsere Schulen wirklich? Welche Ressourcen helfen an welcher Stelle? 

Mit dem IQHB steht in Bremen seit 2022 eine zentrale Einrichtung bereit, die genau das leisten kann: empirisch fundiert, transparent, und im Dialog mit den Schulen. Denn nur, wenn alle mitgedacht werden – Schulleitungen, Lehrkräfte, politische Entscheidungsträger:innen – entsteht eine belastbare Grundlage für wirksame Maßnahmen. 

Empirie kann so zu mehr werden als nur Statistik: Sie kann der Kompass für mehr Bildungsgerechtigkeit sein. Vorausgesetzt, man nutzt sie klug – und gemeinsam. 

Bottom-up statt Top-down: Schulen zeigen, wie’s geht

Bildungsgerechtigkeit entsteht nicht nur auf dem Papier. Sie wird dort gestaltet, wo sie zählt – im Schulalltag. Und genau hier liegt die Stärke der beteiligten Schulen: Sie warten nicht auf Vorgaben von oben, sondern handeln. Täglich, pragmatisch, kreativ. 

Diese Studie zeigt: Viele Schulen im Land Bremen haben längst eigene Wege gefunden, Bildung gerechter zu machen – von der Elternarbeit über kostenlose Frühstücksangebote bis zur gezielten Sprachförderung. Oft sind es scheinbar kleine Maßnahmen mit großer Wirkung: ein Kaffeetisch zur Einschulung, ein Dolmetscher im Elterngespräch, eine verlässliche iPad-Ausleihe. Immer geht es darum, Barrieren abzubauen – sprachlich, sozial, organisatorisch. 

Diese Ansätze könnten Modellcharakter haben. Denn was an der Einzelschule wirkt, hat Potenzial fürs große Ganze. Der „Bottom-up Approach“ bedeutet: Die Impulse kommen aus der Praxis. Strategien zur Förderung von Bildungsgerechtigkeit entstehen aus konkreten Erfahrungen – und können von der Makro-Ebene aufgegriffen, weiterentwickelt und verstetigt werden. 

Die Herausforderung: Diese guten Beispiele müssen systematisch sichtbar gemacht, miteinander vernetzt und weitergedacht werden. Nur so entsteht ein tragfähiges Fundament für eine landesweite Strategie zur Bildungsgerechtigkeit, die nicht über Schulen hinweg entschieden wird – sondern gemeinsam mit ihnen.