Bildungs­gerechtigkeit:
Schlüssel zur Zukunft

Bildungsgerechtigkeit am Hermann-Böse-Gymnasium

Selbst wenn Bildungsgerechtigkeit nicht explizit im Leitbild der Schule verankert ist: „Zu unseren Zielen zählt das jedem Fall“ (SM). Gerade das Wort „Bildung“ wird generell verstärkt mit einem Gymnasium assoziiert und gehört auch im Kollegium zu den Grundlagen des Leitbildes der Schule. In Kombination mit „Gerechtigkeit“ ist die Haltung am HBG so zusammenzufassen, dass hier versucht wird, Bildungsangebote zu sichern, d.h. allen Kindern und Jugendlichen die bestmögliche Bildung zukommen zu lassen.

Ein wesentlicher Bestandteil von Bildungsgerechtigkeit am HBG ist, dass jeder Schüler und jede Schülerin, die an die Schule kommt, einen qualifizierten Abschluss machen kann. Es werden an alle Schülerinnen und Schüler die gleich hohen Anforderungen gestellt, auch wenn es den Verantwortlichen an der Schule bewusst ist, dass es Kinder mit unterschiedlich schwierigen Ausgangspositionen gibt. Es gibt Verständnis für deren Situation, trotzdem weichen die Verantwortlichen schulseitig von den Ansprüchen im Sinne eines Schwellenkonzepts nicht ab. Es wird „bis zu einem gewissen Grad“ schon differenziert, aber da die Schule ein Gymnasium ist, gibt es grundsätzlich keine unterschiedlichen Anforderungsniveaus wie an Oberschulen. Da es in Bremen bis einschließlich Klasse neun keine „Nichtversetzung“ gibt, stellt das Erreichen der neunten bzw. zehnten Klasse eine erste Schwelle dar, die genommen werden muss, damit es in der Oberstufe überhaupt weitergehen kann. In der Sekundarstufe 2 verstärkt sich dieser Anspruch im Hinblick auf das Zentralabitur noch einmal. Einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit stellt in diesem Zusammenhang auch dar, dass an einem Gymnasium der mittlere Schulabschluss möglich ist.

Gerade in der ersten Zeit ist die Schule bemüht, den Kindern in der Unterstufe den Start im Unterricht so gut wie möglich zu gestalten, was insbesondere aufgrund von Sprachbarrieren nicht immer leicht ist. Diese stellen häufiger ein Problem dar, Schwierigkeiten liegen dabei häufig nicht in den kognitiven Fähigkeiten der Kinder begründet.[1] Einen Schwerpunkt der Maßnahmen am HBG, die der Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit dienen, bildet vor diesem Hintergrund die SPRACHFÖRDERUNG. Denn aus sprachlichen Problemen ergeben sich Schwierigkeiten in allen anderen Fächern, die sich mitunter bis in die Sekundarstufe 2 durchziehen. Aus diesem Grund gibt es insbesondere in den Jahrgangsstufen fünf und sechs in den einzelnen Fächern ein verstärktes Bemühen, sprachsensiblen Unterricht in differenzierten Inhalten abzubilden, aber nur bis zu einem gewissen Grad und nicht durchgängig. In vielen Familien der Kinder und Jugendlichen, die in dieser Hinsicht Nachholbedarf haben, wird die Herkunftssprache der Eltern gesprochen. Es geht für die Schule nicht darum, diese Sprachen zu vernachlässigen, aber die Deutschkenntnisse der Kinder dürfen darunter nicht leiden. Letzteres ist bei einer wachsenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern der Fall, unabhängig davon, wo sie geboren sind und die Grundschule besucht haben. Bemerkbar macht sich dies im (Schul‑)Alltag oft durch fehlendes Vokabular, wenn Wörter wie im Geschichtsunterricht beispielsweise Docht, Wachs, Adelige, Aufstand und Rebellion unbekannt sind. In der Sekundarstufe 1 (Klassenstufen fünf bis neun) gibt es jahrgangsübergreifend Deutschkurse mit 20 Wochenstunden für die Kinder, die mit ihren Eltern gerade erst nach Deutschland gezogen sind. Diese Vorkurse sind auf ein Jahr ausgelegt und teilintegrativ; in den ersten vier Schulstunden sind die Kinder täglich in der jahrgangsübergreifenden Vorkurs-Gruppe und danach im jeweiligen Jahrgang in der Regelklasse. In der fünften Klasse wird in Gruppen von durchschnittlich acht Schülerinnen bzw. Schülern Nachhilfe in Rechtschreibung mit einer Zusatzstunde pro Woche angeboten, die im Anschluss an den regulären Unterricht stattfindet. In den Jahrgangsstufen fünf und sechs gibt es im Wochenplan integriert eine Studien- und Vertiefungsstunde im Fach Deutsch. In dieser Stunde durchlaufen die Kinder nicht den gleichen Stoff, sondern hier wird differenziert deren individueller Sprachentwicklungsbedarf fokussiert. Alle Defizite können aber mit dieser einen Stunde nicht abgefangen werden.

Bedarfsorientiert werden ZUSÄTZLICHE RESSOURCEN eingesetzt im Rahmen von Maßnahmen, die durchaus unter die Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit gefasst werden können – auch wenn sie am HBG nicht primär unter dieser Zielsetzung adressiert werden. Seit ca. 16 Jahren wird an der Schule eine Form von Eingangsdiagnostik betrieben, aktuell mittels des von der Schulbehörde zur Verfügung gestellten Lernausgangslagenerhebungs-Programm (LALE) – „ein sinnvolles Instrument“ (SM). Die Ergebnisse der LALE-Diagnostik sind genauer als die der früher verwendeten Instrumente; sie ermöglichen es, Förderbedarf u.a. im Bereich Leseverständnis genauer zu identifizieren (vgl. SKB 2024). Dafür ist bisher keine Extraförderung vorgesehen, aber die Schule sucht derzeit nach Möglichkeiten, um den Schülerinnen und Schülern in Jahrgangsstufe fünf bei Bedarf eine zielgenaue Förderung in diesem Bereich anzubieten, da der klassische Fachunterricht dafür kaum Möglichkeiten bietet. In Klasse fünf praktiziert das HBG seit ca. 12 Jahren das Prinzip der Doppelsteckung: In Deutsch, Mathematik und Englisch gibt es in Jahrgangsstufe fünf jede Woche pro Doppelstunde eine Doppelbesetzung pro Klasse. In Absprache zwischen Lehr- und Förderkräften wird in Kleingruppen unterrichtet oder anlassbezogen anderweitig verstärkt. Über das Corona-Förderprogramm „Schüler:innen stärken“ konnte das Modell auch in Sekundarstufe 2 phasenweise praktiziert werden; wenn Gelder zur Verfügung stünden, „würden wir das in Jahrgangsstufe 10 sofort wieder einführen“ (SM). Für die Sekundarstufe 1 bieten Jugendliche aus der Oberstufe zweimal wöchentlich eine Hausaufgaben-Nachmittagsbetreuung an; die Maßnahme wird ebenfalls aus Fördermitteln finanziert und gut angenommen. Nicht funktioniert hat am HBG dagegen das Angebot der Inselkurse, die sich in Form von „Zusatzkursen am Nachmittag in Abstimmung mit den Fachleitungen“ an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe 1 mit Nachholbedarf in Deutsch, Mathematik, Englisch oder Französisch richteten. Das Problem war, dass die Kinder, die die Förderung eigentlich nötig gehabt hätten, nicht an den Kursen teilnahmen. In manchen Fällen meldeten Eltern die Kinder zwar an, diese kamen aber – auch wenn das den Eltern zurückgemeldet wurde. In anderen „nicht wenigen“ Fällen hatten Eltern selbst so wenig Bezug zur Schule, dass sie gar nicht auf den Gedanken kamen, ihre Kinder anzumelden. Die Verantwortlichen am HBG sahen hier wenig Handlungsspielraum; daher wurde die Maßnahme vor knapp zwei Jahren eingestellt und stattdessen die Doppelsteckung wenn möglich verstärkt, die im Unterricht stattfindet und den direkten Zugang zu den Kindern ermöglicht.

Eine weitere wichtige Schwelle, auf die schulintern genau geblickt wird, bildet die zehnte Jahrgangsstufe; mit Bestehen dieser Klasse erhalten die Schülerinnen und Schüler einen mittleren Bildungsabschluss und es kommt in der Regel eine größere Anzahl neuer Schülerinnen und Schüler von anderen Schulen neu dazu. Für diesen Jahrgang werden im Hinblick auf die bevorstehenden beiden Jahre der Oberstufe gesonderte Förderangebote für die Fächer Mathematik und Deutsch in den Stundenplan integriert; für Englisch gibt es in der Regel keinen Bedarf. In der Qualifikationsphase gibt es dann keine explizite Förderung mehr – die nächste Schwelle, das Abitur, muss selbstständig genommen werden. In der Oberstufe wird Eigenverantwortung und Eigenständigkeit von der Schülerschaft gefordert. Wenn Jugendliche in dieser Phase um Hilfe bitten, wird ihnen bestmöglich geholfen, aber engmaschige Kontrolle und Betreuung gehört im Selbstverständnis der Lehrkräfte im HBG in der Sekundarstufe 2 nicht zu den Standardaufgaben der Schule.

Die Verantwortlichen am HBG sind der Auffassung, dass diese Maßnahmen Wirkung zeigen, „wenn auch nicht zu 100%“ (SM). Grundlage für dieses Urteil sind die Zeugnisnoten und die Rückmeldungen des Kollegiums sowie Beobachtungen, dass Doppelsteckungen beispielsweise beendet werden können, weil ein bestimmter Bedarf damit zufriedenstellend gedeckt wurde. Es gibt zudem immer wieder Erfolgsbeispiele von Kindern, die aus schwierigsten sozio-strukturellen Verhältnissen kommen und am HBG ein gutes Abitur machen. Allerdings sind auch genug Gegenbeispiele zu verzeichnen, „wie vermutlich an jedem (Bremer) Gymnasium“: Kinder, die von Klasse fünf an bis Klasse neun immer mit schlechten Noten kämpfen und es dann schlussendlich nicht schaffen.