Bildungs­gerechtigkeit:
Schlüssel zur Zukunft

Leitidee: Praxiskontakte systematisieren 

Ein prägnanter Fokus bei der Erhöhung von Bildungsgerechtigkeit an der Ernst! ist die Praxisorientierung.  Konkret bedeutet das eine frühe und konsequente Berufsorientierung sowie die damit einhergehende Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, insbesondere in der unmittelbaren Umgebung, d.h. im Stadtviertel Bremerhaven Lehe. Für Kinder und Jugendliche an der Ernst! ist es besonders wichtig, rechtzeitig zu verstehen, wofür das, was in der Schule passiert, geschieht (z.B. rechnen, schreiben, lesen, miteinander sprechen).  

Als die Schule vor 15 Jahren einen Neustart hinlegte, war schnell klar, dass die Schulabsolvent:innen den Übergang in eine Ausbildung und damit ins Berufsleben nur schaffen können, wenn strategische Maßnahmen zur Berufsorientierung möglichst früh starten und durchgängig angeboten werden. Das ist inzwischen etabliert mittels einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen; mit dieser Strategie ist zudem eine langfristige Stärkung des Stadtteils Lehe verbunden, der damit „fit für die Zukunft“ gemacht werden soll. 

Eine Einzelmaßnahme besteht darin, dass die Schule Partner im Netzwerk Schule-Wirtschaft-Wissenschaft (NSWW) ist, einem eingetragenen Verein mit Partnern aus den drei Bereichen in der Region Nordwest. Das Ziel dieses Netzwerks besteht darin, junge Menschen vor Ort darin zu unterstützen, dass sie rechtzeitig vor ihrem Eintritt in die Arbeitswelt die beruflichen Chancen in ihrer Region kennen. Damit soll u.a. dem Fachkräftemangel vorausschauend begegnet und der Dialog zwischen Schulen, Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert werden (NSWW 2024). Unter anderem über die Zugehörigkeit zu diesem Netzwerk ist die OSE inzwischen sehr gut in die Wirtschaft und mit den Handwerkskammern verbunden. Zu Beginn haben Unternehmen die Ernst! gemieden, freiwilligen Kontakt gab es kaum - mittlerweile kommen viele Firmen gerne auf die OSE zu und in die Schule: Es gibt jährlich einen Berufsorientierungstag für die Jahrgangsstufen 9 und 10, der nach wie vor von vielen Firmen – nicht von allen, weil die Schule dafür nicht die Schüler:innenschaft hat – gut angenommen wird. Auf diesem Weg gelingt es mitunter auch, bei Schüler:innen, die mit Schule „eigentlich schon abgeschlossen hatten“, ein Interesse an Ausbildung zu wecken. 

In den Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 sind Praktika für die Schüler:innen vorgesehen. Da die Berufsorientierung in ihren Familien oft keinen hohen Stellenwert hat, ist es besonders wichtig, die Jugendlichen mit verschiedenen Angeboten in Kontakt zu bringen. Mit den drei Praktika lernen sie unterschiedliche Berufsfelder und Berufe kennen. Daneben gibt es an der Schule mehrmals pro Schuljahr verschiedene Zusatzangebote, im Rahmen derer man z.B. in Kooperation mit einem Schmied oder einer Holzwerkstatt, in der u.a. Langzeitarbeitslose beschäftigt sind, weitere Berufsfelder kennenlernen kann. Aus diesen Kooperationen entstehen Produkte wie beispielsweise Kunstobjekte aus Stahl oder Möbel, die sich in den Klassenzimmern und v.a. in einer bunten Sammlung im Büro von Nicole Wind wiederfinden. Auch weitere Angebote für die Schüler:innen sind produktorientiert. So wurde in der Vergangenheit montags und dienstags mit einer Schüler:innengruppe eingekauft und gebacken bzw. gekocht, um die Produkte mittwochs auf dem Wochenmarkt zu verkaufen. Auch selbst produzierter Honig sowie Kerzen und Seifen werden angeboten. Für solche Angebote, die es auch an anderen Schulen gibt, sind Kurse, zum Beispiel im Ganztag, das passende Format. Solche Angebote können aktuell allerdings nicht mehr ausreichend vorgehalten werden, weil das Personal für langfristige Begleitung fehlt; deswegen laufen immer mehr der hier erläuterten Maßnahmen „nebenher“ und „bröckeln in vielen Fällen langsam weg“. 

Bei den geschilderten Maßnahmen zur Berufsorientierung ist frühzeitig und möglichst durchgängig eine individuelle Begleitung innerhalb und außerhalb der Schule erforderlich, u.a. deswegen bemüht sich die Ernst! besonders um Lese-, Bildungs- und Ausbildungspaten. Durch Corona sind viele von ihnen weggebrochen – weil es sich in vielen Fällen um Senior:innen handelte. Schüler:innen der Jahrgangsstufen 8, 9 und 10 werden im Übergang zur Ausbildung von diesen Pat:innen begleitet; die Lehrkräfte haben dafür in dieser Form keine Ressourcen. Beispielsweise gibt es einen ehemaligen Dachdecker, der sich mit den Schülerinnen und Schülern zusammensetzt, Fragen zu seinem Beruf beantwortet, ehemalige Kontakte bedient und die Schülerinnen und Schüler ggf. für Praktika in die Firmen begleitet. Ausbildungspaten sind häufig sehr geduldig, u.a. wenn sie Bewerbungen mit den Schüler:innen schreiben. Sie engagieren sich sehr für die Jugendlichen auch über eine längere Phase hinweg und beim Übergang in die Ausbildung. Für die Kinder des fünften, sechsten und manchmal auch siebten Jahrgangs gibt es sog. „Bildungsbuddies“. Das sind Studierende der Hochschule, die Kinder im Unterricht unterstützen, aber gelegentlich auch deren Freizeit (mit)gestalten für 20 Stunden im Monat (z.B. begleiten sie die Kinder zum Sport oder backen mit ihnen Kekse). Dafür wohnen die Studierenden kostenlos im Studierendenhaus. 

Die Wirksamkeit dieser Einzelmaßnahmen wird sichtbar daran, dass viele Jugendliche einen Ausbildungsplatz bekommen. Die OSE belegt in entsprechenden Rankings für Bremerhavener Schulen einen der vordersten Plätze. Ein weiterer Beweis für die Wirksamkeit der Strategie „Praxisorientierung“ ist die Tatsache, dass viele Firmen mit der ERNST! eigeninitiativ Kontakt aufnehmen und sich dadurch Kooperationen ergeben.